Wallonien, Österreich und Kolumbien: „Kleine müssen sich immer wehren“

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Die EU-Delegation bei ihrer abschließenden Pressekonferenz ©Stephan Kroener

Dass sich das kleine Wallonien mutig einige Tage gegen das Ceta-Abkommen gestemmt hat, ging wie ein Lauffeuer durch die internationalen Medien. Einige dieser mutigen Wallonier reisten letzte Woche zusammen mit der EU-Parlamentarierin Tania González Peñas der Partei Podemos durch Kolumbien, um die Auswirkungen des vor knapp vier Jahren vorläufig ratifizierten Freihandelsabkommens mit Kolumbien und Peru zu analysieren.

Vorläufig, weil drei Staaten der Europäischen Union nicht bereit waren diesem Abkommen voreilig zuzustimmen. Darunter wieder einmal Belgien mit seinen sturen Walloniern, die wirtschaftlich stark gebeutelten und EU-resistenten Griechen sowie die Alpenrepublik Österreich. Doch auch wenn das Abkommen konkret noch nicht von allen 27 Mitgliedstaaten der EU ratifiziert worden war, konnte der Europäische Rat den sich hinziehenden Ratifizierungsprozesse durch die einzelnen EU-Parlamente mit einem Trick umgehen. Durch den Artikel 218 Absatz 5 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) schuf sich der Rat eine juristische Hintertür mit der der Vertrag vorläufig inkrafttreten konnte.

Verfassungsrechtlich wie demokratiepolitisch unakzeptabel

Wie aus einer Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke im Bundestag hervorgeht, ist das rechtliche Ergebnis „annähernd gleich zur endgültigen Anwendung nach ordnungsgemäßer Ratifikation: Die Bestimmungen des Abkommens werden wechselseitig angewendet und umgesetzt. Der Unterschied liegt in der jederzeitigen Widerrufbarkeit der vorläufigen Anwendung durch jede Partei und in der möglichen gegenständlichen Begrenzung (…) Insgesamt ist es verfassungsrechtlich wie demokratiepolitisch unakzeptabel, dass die vorläufige Anwendung eines Abkommens an den Parlamenten vorbei erfolgt“ (vgl. Prof.-Dr.-Wolfgang-Weiß-Gutachten; zitiert nach Drucksache 18/8583 Antwort der Bundesregierung).

Aus der Antwort der Bundesregierung geht ebenfalls hervor, dass man nicht weiß, warum diese drei abtrünnigen EU-Staaten das Abkommen noch nicht ratifiziert haben. In der genannten EU-Delegation reisten drei Wollonierinnen – die Abgeordneten Gwenaëlle Grovonius, Hélène Ryckmans und Olga Zrihen – sowie die österreichische Abgeordnete Petra Bayr. Letztere erklärte uns, dass „solange nicht alle Bedenken ausgeräumt sind und solange nicht klar ist, dass die Nachhaltigkeitsklausel (des Vertrages A.d.V) wirklich mit Leben gefüllt wird – und auch wirklich gelebt und implementiert wird – solange wird es auch zu keiner Ratifizierung kommen.“

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Líder campesino en Urabá ©IPC

Ziel und Zweck der Reise

Dass längst nicht alle Bedenken ausgeräumt sind, davon konnten sich die Politikerinnen direkt bei den Betroffenen überzeugen. In zwei Gruppen reisten sie einerseits über Cali nach Buenaventura und Popayan, sowie andererseits über Medellín nach Urabá. Sie besuchten bäuerliche Gemeinschaften genauso wie die Comuna 13 in Medellín. Ziel und Zweck der Reise war außerdem die Information und Analyse einiger emblematischer Fälle von Menschenrechtsverbrechen in Kolumbien.

Die Auswirkungen des legalen und illegalen Bergbaus sowie der extensiven Landwirtschaft von internationalen Großkonzernen sieht Tania González in direktem Zusammenhang mit dem Freihandelsabkommen. „Wir konnten in dieser Woche feststellen, wie das derzeitige Wirtschaftsmodell des Neo-Extraktivismus (Auf Rohstoff-Export und Ausbeutung basierende Wirtschaftsform A.d.V.) und des Großgrundbesitzes in den unterschiedlichen Regionen die soziale Ungleichheit erhöht. Die kolumbianischen Bauern sind in allen Produktionsbereichen, vom Anbau über den Vertrieb und die Vermarktung schlechter positioniert als ihre europäischen und internationalen Konkurrenten.“

Menschenrechtsverbrechen, Umweltschäden und Vertreibung

Für González hängt diese Tatsache eng zusammen „mit Menschenrechtsverbrechen, Umweltschäden und der Vertreibung sozialer Gemeinschaften wie Indigenen und Campesinos von ihren ursprünglichen Ländereien. Da gerade in den Regionen, die überwiegend für den internationalen Markt produzieren, diese Phänomene überproportional vertreten sind.“ Deswegen fordert sie von der EU ein „durchgehendes Monitoring der Implementierung des Freihandelsvertrages und damit der Einhaltung ethischer Standards durch europäische Konzerne.“ Auch weil für sie dieser stark mit dem Erfolg der derzeitigen Friedensverhandlungen verknüpft sei.

Auch Olga Zrihen argumentiert in diese Richtung: „Der Frieden ist die beste und einzige Lösung (des Konflikts A.d.V.) der eine Zukunft für Kolumbien bietet.“ Hierfür müssten einerseits die kolumbianischen Institutionen gestärkt und andererseits auch die Gewerkschaften und nationalen NGOs gehört werden. „Viele Rechte bestehen nur auf dem Papier“, deswegen solle die Europäische Union über ein funktionierendes Monitoring auf die Einhaltung fundamentaler Rechte achten.

Menschenrechtsstandards erzwingen

Für Petra Bayr ist der kolumbianische Staat bei weitem nicht perfekt. „Es ist nicht der Staat den ich mir wünschen würde, aber gerade deswegen geht es darum, durch Mechanismen wie zum Beispiel Handelsabkommen – an denen Kolumbien ein massives Interesse hat – Menschenrechtsstandards zu erzwingen und zu sagen, wenn nicht dann nicht“.

Die kolumbianischen NGOs wie die Comisión Intereclesial de Justicia y Paz, CIJP (z.dt. Ökumenische Kommission für Gerechtigkeit und Frieden), und das Instituto Popular de Capacitación, IPC (z.dt. Institut für Volksbildung), begleiteten die Abgeordneten bei ihrer Reise. Bayr betont wie hoch professionell die NGOs in Kolumbien agieren. „Sie haben eine klare Agenda, die sie auch untereinander abgestimmt haben, sie sind gut vernetzt und verfolgen ein gemeinsames Ziel. Es war eine durchaus positive Erfahrung und sie motivieren uns weiterhin für ihre Sache Druck zu machen“.

„Nur Handel ist nicht der Weisheit letzter Schluss“

Trotzdem sieht Bayr es nach dem vorläufigen Inkrafttreten als extrem unwahrscheinlich an, dass der Freihandelsvertrag wieder aufgelöst wird. „Momentan bedarf es schon sehr viel Kraft allein die nicht-Ratifizierung aufrechtzuerhalten.“ In Österreich hat sich eine Phalanx aus Gewerkschaftlern und entwicklungspolitischer NGOs sowie Menschenrechtsorganisationen formiert. Wie Bayr es formuliert, ist deren Hauptargument, dass „nur Handel nicht der Weisheit letzter Schluss“ sein kann.

Völkerrechtlich wäre es spannend, was bei einem Aussetzen des Vertrages passieren würde. Dass es gerade die kleinen Staaten in der EU sind, die sich gegen diese internationalen Freihandelsabkommen wehren, ist auffällig. Bayr scherzt dazu: „Das ist halt so, Kleine müssen sich immer wehren“.

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Museum Casa de la Memoria in Medellín ©IPC 

Die Reise wurde organisiert von der Belgischen Koordination für Kolumbien (Coordination belge pour la Colombie)

Weitere Informationen zum Freihandelsabkommen EU-Peru/Kolumbien auf der Seite des Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V. (FDCL)


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