Auslandsdeutsche: Vom Wahlrecht abgeschnitten

Ich bin ein Deutscher mit Migrationshintergrund, denn ich lebe nicht in Deutschland, ein Bürger zweiter Klasse mit eingeschränktem Wahlrecht. Doch ich bin einer von vielen. 3,5 Millionen[1] deutsche „expatriates“ (kurz expates) allein in den 36 Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OWZE) sind alle paar Jahre wieder zur Wahl aufgerufen, zur Wahl des Bundestags oder wie vor kurzem zu der des Europaparlaments. Aber nur etwas mehr als 100.000 von ihnen ließen sich 2017 in das Wählerverzeichnis eintragen und wahrscheinlich noch wenigere erreichten die Briefwahlunterlagen. Das ist eine anzunehmende Wahlbeteiligung von 2,68 Prozent, fast 74% weniger als die der Inlandsdeutschen.

Der Begriff „Auslandsdeutsche(r)“ mag für viele noch einen gewissen braunen Farbton haben, allerdings klingt „Deutsche(r) im Ausland“ zu sehr nach Urlaub am Traumstrand und „Auslandserwerbstätige(r)“ zu ungenau, da hierrunter viele Rentner und Studenten nicht fallen würden. Auch das neudeutsche „expates“ hört sich für viele teutonische Ohren noch zu ungewohnt an. Doch es ist nicht wichtig, wie man uns bezeichnet, sondern, dass man unsere Rechte beachtet. Immerhin sind die deutschen „expates“ „die zweitgrößte Gruppe von im Ausland lebenden Menschen aus einem entwickelten Land nach den Briten“.

Deutsch im Ausland 2017
(Quelle:  Wahl zum 19. Deutschen Bundestag am 24. September 2017. Informationen des Bundeswahlleiters: Heft 5, Teil 1
Textliche Auswertung (Wahlergebnisse), Seite 28)

Seit 1987 steht diesen Auslandsdeutschen das Wahlrecht zum deutschen Bundestag und zum Europäischen Parlament zu, unerheblich welche weiteren Staatsangehörigkeiten sie besitzen. Nach Aussagen des Büros des Bundeswahlleiters in Wiesbaden stieg die Zahl der in das Wählerverzeichnis eingetragenen Auslandsdeutschen 2017 im Vergleich zu 2013 zwar knapp um das doppelte auf mehr als 110.000 Deutsche an, trotzdem ist die Diskrepanz zu den Millionen Deutschen im Ausland immer noch gewaltig. Auch weil anzunehmen ist, dass aufgrund der weiteren Globalisierung immer mehr Deutsche im Ausland arbeiten und leben werden. Außerdem bedeuten diese Zahlen nicht, dass die Stimmen wirklich gezählt wurden, da sie sich nur auf den Eintrag ins Wählerverzeichnis, nicht aber auf den Eingang der Briefwahlunterlagen beim jeweiligen Wahlamt in Deutschland beziehen.

Grund dieser extrem geringen Wahlbeteiligung ist für viele Betroffene der komplizierte Antragsprozess, fehlende Information und mangelnde Kommunikation vor allem der deutschen Auslandsvertretungen. Auch ist entscheidend wo auf der Welt es den Wähler hin verschlagen hat. Denn jede Botschaft entscheidet selbst ob sie den diplomatischen Kurierdienst zur Verfügung stellt oder nicht. So besteht ein großer Unterschied zwischen dem Deutschen in Asunción, Beirut oder Windhuk.

Noch gravierender sind die Unterschiede in der Behandlung der Auslandsbürger zwischen den Mitgliedsländern der Europäischen Union. Während Esten von überall auf der Welt ihre Stimme einfach elektronisch via Internet und Franzosen ihre in ihrer jeweiligen Botschaft abgeben können, sind Tschechen, Slowaken, Malteser und Iren im Ausland von der Wahl ausgeschlossen. Eine derartige ungleiche Behandlung und „die derzeitige Einschränkung des Wahlrechts für Deutsche im Ausland verletzt das […] allgemeine Wahlrecht„, so ein Beschluss des Bundesparteitags der SPD im Dezember 2017. Getan hat sich seitdem wenig, nur der Fakt ist geblieben, dass populistische Parteien in ganz Europa stärker werden.

EU Wahl kurz
Quelle: Giulio Sabbati, Gianluca Sgueo und Alina Dobreva. Infografik: Europawahl 2019: Nationale Bestimmungen. Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments. PE 623.556 – Oktober 2018

Ob die Auslandsdeutschen diesen Trend stoppen könnten, lässt sich nicht vorhersagen. Es ist eine Plattitüde, dass Auslandserfahrung gegen Populismus und Rassismus schützt. Aber es ist auch egal, ob die einzigen beiden Deutschen, die sich 2017 die Mühe gemacht haben, ihre Wahlunterlagen aus dem fernen Bhutan nach Deutschland zu bringen oder die der beiden deutschen Wahlberechtigten, die von den Südseeinseln Tonga und Vanuatu ihre Wahlunterlagen versendet haben[2], nun AfD oder die Linke gewählt haben. Ihre Stimme zählt, genauso wie die aus München oder Wuppertal.

Aus meiner Zweitheimat Kolumbien wurden 2017 nur 139 Anträge auf Eintrag ins Wahlregister vermeldet. 139 von wahrscheinlich über 1000 Wahlberechtigten, so Monika Noy, Konsularleiterin in Bogotá. Es ist davon auszugehen, dass der Großteil davon sich aus Botschaftspersonal und ihren Familienangehörigen zusammensetzt, denn sie sitzen an der Informationsquelle und können leicht den diplomatischen Kurierdienst verwenden, der die Postlaufzeiten von und nach Deutschland enorm verkürzt. Diese Aussage wurde mir vom Pressesprecher der Botschaft, Dr. Daniel Alscher, bestätigt, der mir kurz vor der Bundestagswahl 2017 mitteilte, dass er schon Wochen zuvor gewählt hatte, während zu der Zeit noch viele andere Deutsche in Kolumbien auf ihre Briefwahlunterlagen warteten.

Die deutsche Botschaft in Bogotá hatte zur Bundestagswahl 2017 erstmals damit begonnen, Wahlberechtigten in Kolumbien die Möglichkeit zu geben, den diplomatischen Kurierdienst zum Erhalt ihres Wahlscheins und zur Rücksendung zu verwenden. Dies nutzten laut Auswärtigem Amt 2017 insgesamt nur 43 und 2019 zur Wahl des Europaparlaments nur 22 Personen, wobei 10 (2017) beziehungsweise 14 (2019) Wahlbriefe liegenblieben. Dies ist auf eine schlechte Kommunikationspolitik zurückzuführen. Denn die deutsche Botschaft in Bogotá sieht das Wahlrecht als eine „Holschuld“ an. Was bedeutet, dass der Wahlberechtigte nicht über den Eingang seines Wahlscheins, noch über das Ende der wichtigen Frist zur Rücksendung seiner Briewahlunterlagen benachrichtigt wird.

Obwohl die Botschaft in Bogotá und das Auswärtige Amt in Berlin über Deutschenlisten – mit denen Deutsche im Ausland freiwillig ihre Adresse, Telefonnummer und Email den deutschen Behörden mitteilen – und die deutschen Auslandsvertretungen über ausreichend Social Media Kanäle verfügen, werden die Wahlberechtigen nicht weiter informiert. So kann nur eine elitäre Schicht im diplomatischen Dienst der Botschaften ihr Wahlrecht kostengünstig und entspannt ausüben.

Nutzung des Kurierweges
Deutsche im Ausland

Denn zu dieser Ungleichbehandlung kommt hinzu, dass anders als beispielsweise im mongolischen Ulan Bator oder im irakischen Bagdad meine Auslandsvertretung keine Versendung des Antrags ins Wählerverzeichnis anbietet. Dies muss vom Wahlberechtigten in Kolumbien wie in vielen anderen Ländern privat organisiert werden, denn, so der Bundeswahlleiter in Wiesbaden: „Deutsche im Ausland (…) werden nicht automatisch in ein Wählerverzeichnis eingetragen. Wollen Auslandsdeutsche an Bundestagswahlen teilnehmen, müssen sie vor jeder Wahl einen förmlichen Antrag auf Eintragung in das Wählerverzeichnis stellen“. Das bedeutet alle zwei Jahre, für Bundestagswahl und die Wahl zum Europaparlament. Während für den Deutschen in der Mongolei, im Irak oder auch in Wuppertal und München dies kostenlos geleistet wird, müssen andere für ihr Wahlrecht bezahlen.

Millionen Deutsche im Ausland warten darauf als Deutsche wahrgenommen zu werden. Keine Partei hat sie bisher als Wählergruppe erkannt, noch sitzt ein Vertreter für ihre Interessen im Bundestag. Unsere französischen EU-Mitbürger hingegen haben seit 1948 Repräsentanten für ihre 1,2 Millionen Auslandsfranzosen im Senat in Paris[3]. In Deutschland fand die Diskussion über die Inklusion bei den Wahlen von geistig beeinträchtigten Menschen ein enormes und positives Medienecho. Es findet sich aber niemand, der für die Rechte der Auslandsdeutschen, ob beeinträchtigt oder nicht, einsteht.

Ergänzung vom 22.05.2020: Auch in China werden die Auslandsdeutschen aktiv. Tim Wöffen hat bereits eine Petition zur Einsetzung eines Beauftragten für die Interessen der Auslandsdeutschen gestartet.

Mehr Information: VDBIO – Verband deutscher Bediensteter bei Internationalen Organisationen 

[1] Diese Zahl bezieht sich auf das Jahr 2005, leider gibt es keine neueren Studien.

[2] Büro Bundeswahlleiter: Auslandsdeutsche nach Wohnländern Bundestagswahl 2013 W/39910010‐WB0304

[3] Werner Sengenberger: Das Wahlrecht für Auslandsdeutsche – Nachholbedarf bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. VDBIO-Arbeitsgruppe Wahlrecht für Auslandsdeutsche 2017 (unveröffentlicht)


2 Gedanken zu “Auslandsdeutsche: Vom Wahlrecht abgeschnitten

  1. Das ist das erste Mal, dass ich dieses Dilemma thematisiert sehe. Ich ärgere mich schon seit 40 Jahren über diese Situation. In Spanien kann ich nur an den Europawahlen (aber nur spanische Parteien) und an den lokalen Wahlen teilnehmen, an den regionalen oder nationalen nicht. Für den Bundestag besteht das hier beschriebene Problem. Da fühlt man sich echt wie ein Bürger zweiter Klasse!

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  2. Danke für ihren Beitrag! Ich bin gebürtige Französin und möchte ihren Beitrag kurz ergänzen. Die Auslandsfranzosen (mittlerweile 2,3Mio) sind nicht nur im Senat vertreten, sondern auch nun in der Assemblée Nationale. Wir haben 11 Abgeordnete, die uns vertreten* (was für viele Politiker auch zur Debat wurde… wir sind angeblich „zu gut“ vertreten). Wer sich im Konsulat registriert, wird automatisch auf das Wählerverzeichnis registriert und kann an die nächste Wahl vorort teilnehmen. Wahlen werden in den jeweiligen Botschaften/konsularische Vertretungen organisiert (in Städten wie Berlin oder London öffnen weitere Wahllokale in Schulen oder Kulturzentren aufgrund der großen Beteiligung) und wer nicht teilnehmen kann, kann auch eine Vollmacht erteilen. Elektronische Wahlbeteiligung ist auch in bestimmten Fällen möglich.
    Ich besitze seit ein paar Jahren auch die deutsche Staatsangehörigkeit. 2017 durfte ich zum ersten Mal an die Bundestagswahlen teilnehmen und zwar aus Ägypten aus. Ich war sehr überrascht, dass die Wahlbeteiligungsmöglichkeiten so gering sind, wenn man im Ausland wohnt. Es hieß Briefwahl. Der Brief kam über Kurier 3 Tage vor der Wahl (ein Service nur für Botschaftsmitarbeiter, denn ich habe gerade geprüft, und Kairo liegt nicht auf der Liste der Standorte, bei der man den diplomatischen Kurier für Wahlen nutzen kann). Meine Unterlage wurde mit anderen Wahlunterlagen von einem netten Kollegen, der zufällig am folgenden Tag zurück flog, mitgenommen. So habe ich zum ersten Mal an deutschen Bundestagswahlen teilgenommen…

    *Quelle: https://www.senat.fr/expatries/documentation/representation_des_francais_etablis_hors_de_france.html

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